Das Fatum bei Vergil

     

 
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2.6. Die Erfüllung des Fatums

Während die ersten sechs Bücher als Irrfahrtenbücher bezeichnet werden, in denen Aeneas sein Fatum erkennt, muss er in den folgenden sechs Bücher seine Bestimmung erfolgreich erfüllen. Doch meiner Ansicht nach ist auch die erste Hälfte der Aeneis zum Teil zumindest im Fatum inbegriffen, schließlich setzt eine Stadtgründung in Italien zunächst die Abreise aus Troja und die Fahrt nach Italien voraus.

Nachdem er das verheißene Land gefunden hat, scheint die Erfüllung des Fatums sicher. Dies kann man an der Tatsache klarstellen, dass Juppiter, obwohl er keinen Krieg wollte, einen solchen schon im ersten Buch erwähnt und in seinem Willen festhält.

Nach erbitterten Kämpfen besiegt Aeneas Turnus im Einzelkampf. Damit legt er die Grundvoraussetzung für die vollständige Erfüllung des Fatums. Lyne sagt dazu Aeneas Aufgabe sei es, "to establish the Trojans in a City, to introduce their gods, and thus to lay he foundation of Roman civilisation - den Trojanern eine Stadt zu gründen, die Götter einzuführen und damit die Grundlage für Römische Zivilisation zu legen" [6].

Aus der Legende ist dem Leser die Gründung der Stadt Alba Longa, sowie die Geschichte der von der Wölfin gesäugten Zwillingsbrüder Romulus und Remus bekannt. Auch Caesar ist dem römischen Leser namhaft und mit der Pax Augusta scheinen die rauen Zeiten durch goldene Zeitalter gemildert. In der Aeneis selbst wird aber nur der allererste Teil des Juppiterwillens erfüllt, alles andere setzt das historische Wissen des Lesers voraus.

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2.7. Das Endziel des Fatums

In der Einleitung stellte ich noch die Frage nach dem endgültigen Ziel des Fatums, scheinbar ist sie jetzt beantwortet. Wie Aeneas muss auch der Leser den ganzen Willen des Fatums erkennen. Dieses Fatum ist nicht ein persönliches Schicksal eines einzelnen Menschen, wie viele zunächst denken. Das Fatum ist viel weitgreifender, auch die Grenzen eines Volkes übertretend. So erfährt auch König Latinus vom Fatum und will ihm eigentlich nicht im Wege stehen, doch Juno lässt einen Krieg beginnen. Ähnlich bei Dido, die durch Merkur über das Fatum informiert wird, damit sie das, was bestimmt ist nicht fati nescia verhindert.

Aeneas wird nicht Träger des Fatums, weil er von einer außenstehenden Macht auserwählt wurde, sondern weil er sich durch die wichtigen Tugenden virtus und pietas, iustitia und clementia auszeichnet. Er erfüllt seine Aufgabe und gibt sie weiter.
Auch wenn er in der Juppiterrede nicht explizit genannt wird, so scheint Augustus und der Frieden der höchste Wille Juppiters. Spätestens in der Heldenschau wird dies deutlich, steht Augustus doch am Ende der langen Heldenreihe, die Anchises seinem Sohn in der Unterwelt zeigt. Doch auch Augustus als Person ist nicht von Juppiter auserwählt (sonst hätte er ihn wohl erwähnt), aber er zeichnet sich wie Aeneas durch seine Tugenden aus und ist das Endziel des Fatum, weil er den Willen Juppiters verwirklicht. Büchner formuliert es ähnlich: "den Willen Juppiters in der Welt zu verwirklichen, jene [himmlische] Ordnung auf Erden, in der auch das Wesen das Menschen gründet, das ist das Ziel der Geschichte,..." [7] Dieser Wille ist die Weltherrschaft Roms sowie ein Reich der Gerechtigkeit.

Juno greift immer wieder in das Geschehen ein, doch kann immer nur verzögern: in Buch I löst sie mit Aeolus' Hilfe einen Seesturm aus, der die Aeneaden vom Kurs abbringt. In Buch IV stiftet sie gemeinsam mit Venus die Ehe zwischen Aeneas und Dido und im fünften Buch animiert sie die Troerinnen, die Schiffe anzuzünden. In Buch VII heißt sie die Furie Allecto, die Gattin des Latinus und Turnus gegen Aeneas aufzustacheln und entfacht, weil Latinus sich weigert, einen Rachekrieg zu beginnen, einen Krieg zwischen Turnus und Aeneas. Auch im neunten Buch lässt sie Turnus gegen die Trojaner kämpfen und auch im zehnten Buch greift sie ein, indem sie Turnus aus dem Getümmel entzieht. Im letzten und entscheidenden Buch, lässt Juno den Vertrag zwischen Aeneas und Turnus zunichte machen, doch all ihre Bemühungen helfen nicht: Aeneas wird sein Fatum und das seiner Nachfahren erfüllen und sie muss sich fügen.

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2.8. Vergils Absichten

Zunächst einmal kann man festhalten, dass Vergil die Griechen, insbesondere Homer, verehrt und Augustus als Herrscher und Freund hoch schätzt. Diese beiden Neigungen finden sich in der Aeneis wieder: Wie Homer erzählt Vergil von einem Helden, der in einem schweren Krieg kämpfen und Irrfahrten überstehen muss, er verändert nur die Reihenfolge. Auch Homer hat einen Schicksalsbegriff: moira, im Unterschied zu Vergil ist diese aber viel düsterer und auch nicht von einem Gott erdacht, sondern steht noch weit höher als Zeus, der ihr ebenfalls unterworfen ist. Vergil zeigt, indem er sich mit Homer vergleicht, seine eigene dichterische Größe, aber auch seine Eigenständigkeit und Besonderheit.

Weil er vor der dem Frieden Augustus' auch Kriegszeiten erlebt hat, sieht er in der Pax Augusta den Höhepunkt des Römischen Reiches. Daher setzt er Augustus als Endziel des Fatums ein, als denjenigen, der sich durch die wichtigen römischen Tugenden auszeichnet und den Willen Juppiters erfüllt. Nun gibt es sicher Stimmen, die auf die momentane Herrschaft Augustus' hinweisen und meinen, dass jede andere Handlung Vergils für ihn schwere Folgen gehabt hätte. Dem kann man aber erwidern, dass Vergil und Augustus eine enge Freundschaft verband und Vergil ihn hoch verehrte.


[6] Lyne, R.O.A.M.: Further voices in Vergil's Aeneid, Oxford: Clarendon Press, 1992, S.71
[7] Büchner: Der Schicksalsgedanke bei Vergil (1946). In: Oppermann (Hrsg.): Wege zu Vergil, Darmstadt: Wiss. Buchges., 1963, S.297


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