Das Fatum bei Vergil

     

 
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2.4. Aeneas Zweifel

Immer wieder plagen Aeneas Zweifel am Fatum, was seine natürliche, menschliche Schwäche zeigt. So nimmt er das Fatum zunächst überhaupt nicht wahr, als Hektor ihm im zweiten Buch im Traum erscheint und zur Flucht rät, und kämpft weiter. Einige [3] sehen in der Tatsache, dass Aeneas erst seinen Vater sucht, um ihn mit auf die Flucht zu nehmen, einen Widerspruch zwischen Fatum und Pietas, Aeneas fühle sich an dieser Stelle mehr der kindlichen pietas gegenüber dem Vater als dem Fatum gegenüber den Göttern verpflichtet. Diese Meinung kann ich nicht teilen, denn obwohl sich Aeneas durch die römischen Tugenden auszeichnet und sich somit für diese Aufgabe als geeignet zeigt, so ist er doch ein Mensch. Man bedenke, dass soeben seine Heimatstadt angegriffen wurde und in Flammen steht. Im Traum wird ihm zur Flucht geraten, doch dann fallen die Griechen wieder in die Stadt ein. Für mich stellt es noch keinen Widerspruch dar, dass Aeneas dann den Vater und die Familie retten will, ist ihm doch noch gar nicht bewusst, was der Traum bedeutet. Erst als die Flamme auf Ascanius Kopf leuchtet und Juppiter sein Zeichen durch Donner verstärkt, macht er sich auf den Weg, nimmt aber den Vater mit.

Gewissermaßen ist die erste Hälfte der Aeneis gänzlich durchzogen von Zweifeln seitens der Aeneaden, stellt es doch den Irrfahrten-Teil des Gesamtwerkes dar.
Im ersten Buch gelangt Aeneas mit wenigen Kameraden an Karthagos Küste. Der Vater starb auf der Reise, viele andere glaubt er verloren und sein Zeil Italien in weite Ferne gerückt. Zwar spricht er den Gefährten Mut zu, doch selbst ist er curis ingentibus aeger - durch gewaltige Sorgen krank (1,208). Bei Dido freundlich aufgenommen geht er die durch Juno und Venus gestiftete Ehe ein, sein Fatum vergessend.

Auch in Sizilien wird er freundlich aufgenommen, als aber die Frauen die Schiffe in Brand stecken, weil sie nicht weiter nach dem verheißenen Land suchen wollen, quälen ihn große Zweifel. Nunc huc ingentis, nunc illuc pectore curas/ mutabat versans - bald hierhin, bald dorthin wälzt er gewaltige Sorgen (5, 701), doch dann sprechen ihm Nautes und der im Traum erscheinende Anchises Mut zu, das verheißene Land weiterhin zu erstreben.

Nach dem Besuch in der Unterwelt in Buch sechs, ist Aeneas seines Fatums sicher, kennt es und ist willens es vollständig zu erfüllen.

Im achten Buch tun sich zwar keine Zweifel mehr am Fatum auf, dennoch ist Aeneas turbatus - bestürzt ob des durch Juno entfachten Krieges (8, 29). Er ist unentschlossen: animum nunc huc celerem, nunc dividit illuc/ in partisque rapit varias perque omnia versat - er teilt das schnelle Herz bald hierhin bald dorthin und in mannigfaltige Teile entreißt er es und wälzt sie durch alles. (8,20 - 21) Darauf hin bestärkt Tiberius, der Flussgott, die vorhergehenden Prophezeiungen und Aeneas macht sich auf den Weg.

[3] Büchner: Der Schicksalsgedanke bei Vergil (1946). In: Oppermann (Hrsg.): Wege zu Vergil, Darmstadt: Wiss. Buchges., 1963; S. 278
Liebermann: Aeneas - Schicksal und Selbstfindung. In: Görgemanns, Schmidt: Studien zum Antiken Epos, Meisenheim a. Glan, 1976, S. 174


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