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2.3. Die langsame Erkenntnis des Fatums
Nachdem die Griechen mit der List des Trojanischen Pferdes nach Troja
eingedrungen sind und Aeneas sich dort erbitterte Kämpfe geliefert
hat, erscheint ihm im Traum Hektor und weist ihn darauf hin, dass es ihm
nicht bestimmt ist, in dieser Stadt zu bleiben und für diese Stadt
zu kämpfen: "heu fuge, nate dea, teque his' ait eripe
flammis./ hostis habet muros, ruit alto a culmine Troia./ sat patriae
Priamoque datum: ... ./ sacra suosque tibi commendat Troia penatis:/ hos
cape fatorum comites, his moenia quaere,/ magna pererrato statues quae
denique ponto. - Fliehe, Sohn der Göttin,' sagte er, und
entreiße dich diesen Flammen. Die Feinde stehen auf den Mauern,
Troja stürzt vom hohen Gipfel. Genug ist der Heimat und Priamus gegeben:
... . Troja vertraut dir das Heiligste, seine Penaten, an. Diese nimm
als Gefährten des Schicksals, für sie suche Stadtmauern, die
du nach dem Durchirren des Meeres groß baust." (2, 289 - 295).
Hier erhält Aeneas erstmals einen Hinweis auf seine Aufgabe, aus
Troja mit den Penaten zu fliehen und eine neue, große Stadt zu erbauen.
Doch Aeneas achtet seine Warnung zunächst nicht, sondern in flammas
et in arma feror - in die Flammen und Waffen stürze ich. (2,337)
Mitten in seiner Raserei erscheint ihm seine Mutter Venus (2, 589) und
auch sie rät ihm: "eripe, nate, fugam finemque inpone labori./
nusquam abero et tutem patrio te limine sistam - rette sich, Sohn,
in die Flucht und lege das Ziel der Arbeit nieder, niemals werde ich weg
sein und bringe dich sicher zur väterlichen Schwelle" (2, 619-620)
Sie sagt ihm zunächst das Wichtigste: zu fliehen, ohne Hinweis, dass
es göttlicher Wille ist oder welche Aufgabe danach auf ihn zukommt.
Diese Aussage der Venus wird wenig später im Hause seines Vaters
Anchises noch bekräftigt: Cum subitum dictuque oritur mirabile
monstrum/ ... ecce levis summo de vertice visus Iuli/ fundere lumen apex,
tactuque innoxia mollis/ lambere flamma comas et circum tempora pasci
- da wurde plötzlich - wunder zu sagen - ein Wunderzeichen sichtbar
... siehe auf dem Scheitel des Julus wird eine zarte Flamme sichtbar,
die Licht verbreitet (2, 680-684). Anchises, dies als göttliches
Zeichen deutend, bittet Zeus um eine Bekräftigung. Diese folgt sofort:
vix ea fatus erat senior, subitoque fragore/ intonuit laevom et de
caelo lapsa per umbras/ stella facem ducens multa cum luce cucurrit.
- Kaum hatte der Alte dies gesagt, als es links mit plötzlichem Krachen
donnerte und ein vom Himmel durch Schatten gesunkener Stern mit hellem
Licht lief, eine Fackel tragend, hin.(2, 692-694) Endlich erkennen Aeneas
und auch Anchises die Bedeutung dieser Zeichen als Hinweis auf eine göttliche
Bestimmung zur Flucht und entfliehen.
Auf dem Weg zum Schiff, verliert Aeneas seine Gattin Creusa, die ihm
dann als Schattenbild die Zukunft weissagt: "non haec sine numine
divom eveniunt - dieses tritt nicht ohne den Willen der Götter
ein" (2, 776) und gibt ihm damit erstmals mit Worten Hinweis darauf,
dass sowohl seine Flucht aus Troja als auch ihr Tod göttlicher Wille
ist. Sie sagt ihm, dass er zwar vastum maris aequor - die öde
Ebene des Meeres (2,780) durchsegeln muss, doch danach wird er eine neue
Heimat finden: illic res laetae regnumque et regia coniunx/ parta tibi
- dort sind herrliche Macht und Herrschaft und eine Gattin aus königlicher
Familie dir geboren. (2,783-784) Seine Zukunft ist es in einem fernen
Land, nach langer Seereise, mit einer anderen, königlichen Frau an
seiner Seite eine neue Herrschaft aufzubauen.
Im dritten Buch findet sich nach dem Tischprodigium, in dem ihnen Italien
als neue Heimat verkündet wird (3,253), die Offenbarung des Priamussohnes
und Sehers Helenus, der ihm wieder die höhere Weisung durch Juppiter
bestätigt. Sein unwegsamer Weg führe durch ferne Länder,
bevor er im sicheren Italien am Ufer eines entlegenen Flusses eine Stadt
gründen soll, wo ingens ... sub ilicibus sus - eine gewaltige
Sau unter Eichen liegt (3,390). Er weist ihn in 3, 437 darauf hin, auch
zu Juno zu beten und sie so zu erweichen. Er schickt ihn zu cumaenischen
Sibylle: adeas vatem precibusque oracula poscas/ ipsa canat vocemque
volens atque ora resolvat - gehe hin zur Seherin und flehe sie mit
Bitten an, dann singt sie selbst die Weissagungen und öffnet willentlich
Stimme und Mund. (3,456-457)
Nachdem Aeneas dann nach Karthago zu Dido gekommen ist, scheint er -
inzwischen um die göttliche Bestimmung wissend - das Fatum zu vergessen
und beginnt eine Beziehung mit der Königin. Jarbas, der frühere
Verehrer Didos, betet zu Juppiter, welcher den Götterboten Merkur
zu Aeneas entsendet, um ihn nachdrücklich an seine Aufgabe zu erinnern.
Merkur schilt ihn hart: "... regni rerumque oblite tuarum!
- du hast deine Herrschaft und die Angelegenheiten der Deinen vergessen
!" (4, 267) Er sagt ihm jetzt ausdrücklich, dass es eine vom
Olympo regnator - vom höchsten Gott erteilte Aufgabe ist. Selbst,
wenn ihm der eigene Ruhm egal ist, soll er an seinen Sohn denken: Ascanium
surgentem et spes heredis Iuli/ respice, cui regnum Italiae Romanaque
tellus/ debetur - Den aufsteigenden Askanius und die Hoffnungen iulischen
Erben berücksichtige, dem die Herrschaft Italiens und der römische
Erdboden geschuldet ist. (4, 274 - 276) Aeneas, durch diese Worte bestürzt,
ringt mit sich, und erklärt der Königin Dido: "Italiam
non sponte sequor - ich erstrebe Italien nicht freiwillig" (4,361).
Trotzdem veranlasst er, die Flotte schnellsten klarzumachen und entschwindet
später heimlich in Richtung Sizilien, was den tragischen Tod Didos
nach sich zieht.
Nach dem Brand der Schiffe auf Sizilien, wieder gelöscht durch einen
Regen Juppiters, erscheint Aeneas sein verstorbener Vater im Traum. Zuvor
hatte ihm der greise Nautes geraten: "his habeant terris sine
moenia fessi - lass die Müden Mauern in diesem Land haben."
(5,717) Anchises bestätigt ihm dieses nochmal: "consiliis
pare, quae nunc pulcherrima Nautes/ dat senior - habe im Sinn die
Ratschläge, welche vortrefflichen dir jetzt der greise Nautes gab."
(5, 728-729) Er sagt ihm nochmals, dass sein Ziel ist, in Italiam - nach
Italien zu segeln und: "gens dura atque aspera cultu debellanda
tibi Latio est - du musst in Latium ein hartes Volk und rau an Kultur
im Krieg besiegen." (5,730-731) Er soll sich aber zuerst von der
cumaenischen Sibylle in die Unterwelt führen lassen, wo er durch
seinen Vater sein ganzes Geschlecht kennenlernen wird und auch die Stadt,
die ihm gegeben wird (genus omne tuum et, quae dentur moenia, disces;
5,737). Wie auch Helenus (3,246) rät ihm jetzt auch sein Vater, die
Seherin aufzusuchen und gibt ihm einen Ausblick auf die vollständige
Erkenntnis des Fatums in der Unterwelt.
Am Anfang des VI. Buches sucht Aeneas die cumaenische Sibylle auf, die
ihm weissagt, dass in regna Lavini/ Dardaniae venient - die Dardaner
in das Reich Laviniums kommen werden (6,84-85). Doch bevor Aeneas die
neue Stadt errichten kann, müssen er und seine Gefährten
bella, horrida bella - Kriege, schreckliche Kriege durchstehen (6,86).
Sibylle prophezeit ihm aber auch eine neue coniunx (6,93). Auf
Aeneas' Bitten hin, zeigt sie ihm, wie er in die Unterwelt gelangen kann.
Dort begegnet er seinem Steuermann Palinurus und Dido, zum Schluss aber
trifft er seinen Vater (6,687), der ihm in der berühmten Heldenschau
inlustris animas nostrumque in nomen ituras - berühmte Seelen,
die mit unserem Namen einhergehen werden, zeigt. (6,758) Dieses Treffen
mit Anchises stellt den Höhepunkt des sechsten Buches, wenn nicht
gar der ganzen Aeneis dar. Schließlich überwindet Aeneas quasi
den Tod, sieht in der Unterwelt die Zukunft und darf das Reich Plutos
lebend wieder verlassen. Nach Silvius, Procas, Capys und Numitor weist
der Vater bald auf Romulus hin: et avo comitem sese Mavotius addet/
Romulus - und dem Ahnen fügt sich der Marssohn Romulus als Kamerad
hinzu. (6,777-778) Schließlich kommt Anchises zu Caesar (hic
Caesar et omnis Iuli/ progenies - hier ist Caesar und die ganze Nachkommenschaft
Julus' (6,789-790)) und Augustus, den er besonders hervorhebt: hic
vir hic est, tibi quem promitti saepius audis,/ Augustus Caesar, Divi
genus, aurea condet/ saecula qui rursus Latio - hier ist der Mann,
von dem dir versprochenen du sehr oft gehört hast, Augustus Caesar,
der Sprößling des Göttlichen, der in Latium wieder das
Goldene Zeitalter begründet. (6,791-793) Augustus ist also derjenige,
der als Letzer das Fatum erfüllt. Er ist der, der nach langen Kriegen
die rauen Zeitalter mildert. Nach der Vorstellung Marcellus' entlässt
Anchises seinen Sohn und Sibylle ohne weitere Worte durch die Elfenbeinpforte.
Nachdem er sich im siebten Buch im verheißenen Land Italien befindet,
erscheint ihm achten Buch der Flussgott Tiberinus, der ihm, wie auch schon
Helenus zuvor, von litoreis ingens inventa sub ilicibus sus - einer
gewaltigen Sau am Strand unter Eichen berichtet (8,43). Auch kündet
er von der Stadt, die Ascanius später dort gründen wird: ...
urbem ... Ascanius clari condet cognominis Albam - Ascanius gründet
die Stadt mit dem strahlenden Beinamen Alba. (8, 47-48) Außerdem
weist er ihn darauf hin, zur Göttin Juno zu beten und sie gnädig
zu stimmen: Iunoni fer rite preces iramque minasque/ supplicibus supera
votis - bring Gebet nach dem Ritus der Juno und verhindere vorher
flehend Zorn und Drohungen. (8,60-61). Durch diese Worte ermutigt, segelt
Aeneas weiter und trifft bald auf die Sau.
Als letzer Hinweise und Verstärkung aller bisherigen Prophezeiungen
findet sich am Ende des achten Buches die Beschreibung des Schildes, das
Venus von Vulcan für ihren Sohn hat schmieden lassen. Das Schild
zeigt die künftige Herrschaft des Juliergeschlechtes ab Ascanio
- von Askanius (8,629) an über geminos... pueros - die Zwillingsjungen
(8,631-632). Es stellt Rom und raptas ... Sabinas - die geraubten Sabinerinnen
dar (8,635), sowie Augustus agens Italos in proelia Caesar - Augustus
Caesar, der die Italer in die Schlachten führt. ( 8, 678). Dieses
Schild nimmt Aeneas und zieht, sich seines Fatums bewusst, in die Schlacht
gegen Turnus.
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