Cicero: Pro Marcello

     

 
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2.2. Stilistik und Inhalt

Nachdem Cicero in den vorhergehenden Kapiteln Caesar angesprochen hat, wendet er sich nun an die "patres conscripti - die Senatoren" und führt die Bedeutung Caesars Urteil an. Dabei verwendet er die Verbindung "iudicium ... pateat - das Urteil erstreckt sich" und wählt mit "patere" ein Wort, bei dem für den römischen Hörer sicher mehrere Bedeutungsunterschiede hörbar waren. So kann es zum einen heißen, dass das Urteil für alle offen zugänglich war und öffentlich besprochen wurde, zum anderen aber auch, dass es sich weit erstreckte. Hier finden sich ebenfalls zwei verschiedene Bedeutungen: erstens war die Nachricht der Begnadigung Marcellus' sicher auch weit über die Grenzen Roms hinweg getragen worden und zweitens hatte das Urteil für alle, nicht nur die direkt Betroffenen, eine tiefe Wirkung.

Nun folgt eine Erklärung Ciceros Taten und Entscheidungen im Krieg, die zumeist mit dem Schicksal oder dem menschlichen Irrtum begründet werden. Dabei fällt zuerst das sehr weite Hyperbaton aus "Omnes ... liberati sumus - Wir alle wurden befreit" auf. Die beiden Teile sind so weit wie irgend möglich gesperrt, nämlich am Anfang und Ende des Satzes, was schon beim bloßen Lesen höchste Spannung erzeugt. Doch es finden sich noch weitere Hyperbata, so ist zum Beispiel das Prädikat des ersten Nebensatzes "sumus ... compulsi - wir wurden heftig gedrängt" selbst gesperrt gestellt, was durch den Einschub "nescio - ich weiß nicht" noch unterstrichen wird. Erwähnenswert sei noch die Wahl der "Wir"-Form, damit bezieht er die angesprochenen Senatoren mit ein, zumindest diejenigen, die mit ihm auf Seiten des Pompeius waren. Als weiteres Hyperbaton könnte man auch noch "fato ... misero funestoque - elendes und unheilvolles Schicksal" auffassen. Andererseits finden sich die Adjektive in einem untergeordneten Nebensatz, so dass auch die Annahme einer Ellipse, der Auslassung des zu den Adjektiven gehörenden Nomen, dadurch Begründung fände. In beiden Fällen verdeutlicht Cicero damit das unglückliche Schicksal, indem er die Adjektive nochmals nachträglich anfügt. Noch stärkere Betonung erfährt diese Wortgruppe durch die Tatsache, dass "misero funestoque" besonders in Verbindung mit fato ein Hendiadyoin darstellt. Man könnte diese Verbindung mit "unglücksselig" übersetzen, da dies beides vielleicht am besten vereint. Ich möchte noch die Wortwahl am Ende des Satzes erwähnen. Mit "aliqua culpa - irgendeine Schuld" und "erroris humani - menschlichen Irrtums" weist er, sofern man überhaupt von Schuld sprechen kann, jeden Vorsatz von sich und betont den Irrtum, dem jeder Mensch erliegen kann.

Danach schließt sich ein langer, hypotaktischer Satz mit vielen Nebensätzen und Einschüben an, in dem Cicero Caesar für die Begnadigung vieler angesehener Männer dankt und darauf verweist, dass auch Caesar eher Irrtum und Furcht als Beweggründe für Kriegshandlungen sieht. Durch den wenig übersichtlichen Satzbau wird die Aufmerksamkeit des Hörers gefordert und sein Interesse an der Rede aufrecht erhalten, da nicht alle Informationen sofort wie an einer Perlenkette aufgereiht auftreten. Auffällig empfand ich den Parallelismus "me et mihi et item rei publicae ... reliquos amplissimos viros et sibi ipsos et patriae reddidit - er gab mich sowohl für mich als auch ebenso für den Staat zurück, zurückgebliebenen überaus angesehenen Männer selbst sowohl für sich als auch für das Vaterland." Hier wird deutlich, dass für ihn Res Publica und Vaterland eng zusammenhängen, was auch im späteren Verlauf der Rede immer wieder deutlich wird: er möchte die Res Publica in Rom wieder einführen. Ebenso unterstreicht er die Ähnlichkeit zwischen sich selbst und anderen begnadigten Männern, er zählt sich also selbst zur Gruppe der angesehenen Männer. Als Gegensatz zu den eher auf menschlichem Irrtum beruhenden Beweggründen für die Kriegsteilnahme, nennt Cicero "cupiditate aut crudelitate - Habgier oder Grausamkeit". Die Ähnlichkeit dieser Worte wird durch die Alliteration betont, durch die Paronomasie noch hervorgehoben. Dadurch wird angedeutet, dass die inhaltlich zwar unterschiedlichen Worte in diesem Zusammenhang aber enger zusammenhängen, dass Habgier auf Kriegsbeute und Grausamkeit beim Plündern einander beeinflussen.

Nun folgt einer der Kernsätze, in dem Cicero auf seine ständigen Friedensbemühungen und sein Bedauern über die Zurückweisung der Anstrengungen hinweist. Dieses verdeutlicht er durch dir sehr effektive Wiederholung der Worte "pace... pacem... pacem...", durch die Wiederholung der Worte "semper ... semper" noch besonders betont.

Mit dem Hyperbaton "Neque … illa nec ulla ... arma civilia - Weder diese noch irgendeine bürgerliche Waffe" versichert er, er wäre keiner der Kriegsparteien gefolgt, und stellt seine Distanz zum Krieg durch dieses Stilmittel besonders dar. Das nun folgende "... semperque mea consilia pacis et togae socia, non belli atque armorum fuerunt - und immer waren meine Ratschläge Begleiter des Friedens und der Toga, nicht des Krieges und der Waffen" ist eine Sammlung an stilistischen Mitteln. Die Wahl des Wortes "toga", als Umschreibung für den Frieden, ist wie auch die des Wortes "arma", als Kriegsmittel, eine Metonymie. Gleichzeitig bilden sowohl "pacis et togae" als auch "belli atque armorum" ein Hendiadyoin, mit dem die Bedeutung der Worte "pax" und "bellum" verstärkt werden, indem noch ihre Bilder angefügt werden. Allerdings liegt die Betonung des ganzen Satzes am Ende, da er hier als Konjunktion atque verwendet, was eine innigere Verbindung der beiden Worte bewirkt als et und dem letzten Wort noch mehr Gewicht verleiht. Betrachtet man nun noch die reine Reihenfolge der Worte, ist als weiteres Stilmittel ein Parallelismus erkennbar, was zum einfacheren Verständnis beiträgt.

Im Anschluss hebt Cicero nochmals hervor, dass er sich lediglich aus privaten Gründen entschlossen hat, Pompeius zu folgen, nicht aber aus Kriegslust. Dabei wählt er das Wort "homo - Mensch" am Anfang des Satzes, was mir bedeutungsvoll zu sein scheint. Zwar wissen alle Hörer, wen Cicero meint, nämlich Pompeius, doch er nennt ihn nicht direkt. Zum einen könnte er damit verdeutlichen wollen, dass er so auch bei jedem anderen Menschen gehandelt hätte, zum anderen ist es möglich, dass damit der Unterschied zwischen dem Menschen Pompeius und dem Feldherren unterstrichen werden soll. Indem Cicero an die Erklärung, er habe "privato officio - aus privaten Gründen" gehandelt, noch "non publico - nicht wegen öffentlicher Verpflichtungen" anfügt, betont er nochmals die privaten Gründe.
Bei der Übersetzung taucht bei "grati animi fidelis memoria" das Problem auf, wie man den Genitiv am treffensten im Deutschen wiedergeben könnte. Ein Genitivus subiectivus oder obiectivus im Sinne von "die treue Erinnerung der dankbaren Gesinnung/ an die dankbare Gesinnung" wäre zwar denkbar, wahrscheinlicher und einleuchtender scheint mir ein Genitivus definitus zu sein, der zu der Übersetzung "die treue Erinnerung, wie sie einem dankbaren Sinn eigen ist" (3) führt.

Die Wendung "non modo .. sed ne … quidem - nicht etwa ... ja nicht einmal" (4) erscheint zunächst als außergewöhnliche Variation zu der gebräuchlicheren Wendung "non modo ... sed etiam - nicht nur sondern auch" und lässt den Hörer und Leser aufmerken und stutzen. Wahrscheinlich aus eben diesem Grunde, verwendet Cicero dies häufiger in seinen Reden.

Die Verbindung "prudens et sciens" sehe ich als Hendiadyoin, da es kaum Bedeutungsunterschiede gibt, und würde statt "klug und wissend" vielleicht eher "wohl wissend" übersetzen.

Im Anschluss versichert Cicero in einem sehr kurzen und dadurch sehr schnell verständlichen Satz nochmals seine Friedensbemühungen, die stets deutlich sichtbar waren und führt danach noch an, welche Gefahr dies für sein eigenes leben bedeutet hat. Dabei werden durch die parallele Anordnung "et in hoc ordine ... dixi et in ipso bello... sensi - auch in dieser Versammlung habe ich gesprochen und selbst im Krieg habe ich gemeint" die beigeordneten Sätze und besonders auch deren Inhalt deutlich. Der Parallelismus unterstreicht Ciceros gleichbleibende Meinung sowohl im Senat als auch in Kriegszeiten.

Der folgende Satz, in dem Caesar nochmals für seine kluge Entscheidung für die Begnadigung der Friedensstifter gelobt wird, ist durch seinen verschachtelten Aufbau eher schwer zu verstehen, die Kernaussage wird aber sehr deutlich. Durch die Wahl der Worte "conservandos ... censuerit - er schätze sie als zu rettende ein", die dicht beieinander und am Wortanfang sehr ähnlich klingen, hebt Cicero Caesars positive Einstellung den Friedensstiftern gegenüber hervor.

Die Alliteration in "minus mirum - weniger wunderlich" und die Häufigkeit des Buchstaben "m" als Lautmalerei in diesen kurzen Worten unterstreicht durch den abwägenden Klang der Worte die Möglichkeit als Gegensatz zur für alle gültigen Tatsache.

Bevor Cicero wieder zum Ursprung seiner Rede zurückkehrt, nämlich seiner Einstellung zum Frieden, die er mit seinem Freund Marcellus teilte und seiner Funktion als Zeuge für Marcellus, erwähnt er noch Caesars Einstellung schon während des Bürgerkrieges.
Mit dem Parallelismus in "incertus exitus et anceps fortuna belli - der Ausgang des Krieges noch ungewiss und das Kriegsglück offen" veranschaulicht Cicero, dass ein Sieg nie gewiss ist, Caesar die Friedensstifter aber schon in dieser Zeit hoch schätzte. Bemerkenswert finde ich, dass dieser und der folgende Satz mit "atque" beginnen, einer Konjunktion die doch inhaltlich gleiche Worte oder Wortgruppen verbinden soll, hier aber anscheinend völlig verschiedenes aneinanderfügt. Damit führt Cicero nun wieder zurück zum eigentlichen Ausgangspunkt seiner Rede.

Schließlich betont er diesen Friedenswillen nochmals durch den Chiasmus "ut in pace semper sic tum etiam in bello - wie immer im Frieden so dann auch im Krieg" und demonstriert nochmals, wie sehr beide im Krieg den Frieden erstrebten.


(3) Richter, F., Eberhardt, A.: Ciceros Reden, S. 26
(4) Richter, F., Eberhardt, A.: Ciceros Reden, S. 26

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